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10.6.2025

„Schon wieder eine E-Mail, die besser ein Meeting hätte sein sollen“

von Gloria Dell'Etere

Warum digitale Kommunikation oft mehr Fragen aufwirft als beantwortet

Wir haben schon oft über das Phänomen „Dieses Meeting hätte eine E-Mail sein können“ gesprochen. Aber was, wenn wir die Perspektive einmal umkehren? Was, wenn wir uns fragen: „Wäre diese E-Mail vielleicht nicht besser ein Meeting gewesen?“ In einer Arbeitswelt, die zunehmend auf Effizienz, asynchrone Tools und schlanke Kommunikation setzt, übersehen wir manchmal, was echte Begegnung leisten kann – besonders dann, wenn es um Komplexität, Emotion oder innovative Zusammenarbeit geht.

Stell dir vor: Du öffnest morgens dein Postfach, eine E-Mail von der Geschäftsführung mit dem Betreff „Reorganisation Q4“. Die Nachricht ist sachlich, nüchtern, präzise – neue Teams, neue Verantwortlichkeiten, neue Prozesse. Keine Erklärung, kein Raum für Rückfragen, keine Möglichkeit, Emotionen zu äußern. Was eigentlich Klarheit bringen soll, sorgt für Frust, Verunsicherung und Vertrauensverlust. Innerhalb weniger Stunden kursieren Gerüchte, Chat-Nachrichten explodieren, Menschen versuchen sich gegenseitig über den Flurfunk zu deuten, was zwischen den Zeilen stehen könnte.

Ein hypothetisches Szenario – und doch kein unrealistisches. Laut einer Studie von McKinsey & Company (2023) geben 68 % der Mitarbeitenden an, dass sie sich nach organisatorischen Veränderungen schlecht informiert und allein gelassen fühlen – obwohl sie meistens vorab „informiert“ wurden. Der Grund? E-Mails transportieren Inhalte, aber keine Haltung. Sie klären Sachverhalte, aber nicht Beziehungen.

Wenn digitale Kommunikation Distanz schafft

E-Mails gelten als effizient – und sind es  –  manchmal. Doch Effizienz ist nicht gleich Wirksamkeit. Besonders bei sensiblen Themen wie Feedback, Zieländerungen, Konflikten oder kulturellen Neuausrichtungen reicht ein schriftliches Update oft nicht aus. Der berühmte „Send“-Button ersetzt kein echtes Gespräch. Was gut gemeint ist, kommt nicht immer gut an. Was kurz gefasst ist, wirkt unhöflich. Was sachlich formuliert ist, wird als kühl empfunden.

Eine Untersuchung der University of Chicago Booth School of Business (2021) zeigt: E-Mails werden im Schnitt 70 % negativer interpretiert, als sie ursprünglich gemeint waren – vor allem dann, wenn das Verhältnis zwischen Sender:in und Empfänger:in nicht stark genug ist. Der Kontext fehlt. Die Körpersprache fehlt. Die Möglichkeit zur Klärung fehlt.

Wie wir erkennen, wann ein Gespräch besser ist als ein Text

Natürlich soll nicht jede Information einen Termin rechtfertigen. Aber es gibt klare Anzeichen dafür, wann ein Gespräch mehr bringt als ein Text:

  • Emotionale Tragweite: Kündigungen, Rollenwechsel, Teamkonflikte – alles, was Unsicherheit oder Stress auslöst, gehört in ein Gespräch mit Raum für Resonanz.
  • Komplexität: Wenn viele Perspektiven gefragt sind, reicht ein linearer Kommunikationskanal nicht aus. Wir brauchen Rückfragen, Abwägungen, spontane Einsichten.
  • Veränderung: Wer Wandel kommuniziert, muss Beziehung aufbauen – und das gelingt nicht zwischen Betreffzeile und Absenden-Klick.

Eine mögliche Lösung, die Teams ausprobieren könnten, sind kurze, geplante Check-ins von 15 Minuten – gezielte Gespräche in kleiner Runde, um wichtige Entscheidungen, neue Informationen oder kritische Themen gemeinsam zu besprechen. Diese kurzen Formate schaffen Raum für Verständnisfragen, klären Erwartungen und stärken die soziale Bindung im Team. Der Vorteil: Sie sind zeitlich begrenzt, aber kommunikativ wirksam. Gerade bei Veränderungen kann ein solcher Check-in verhindern, dass Unsicherheit in stille Demotivation umschlägt.

Auch hilfreich als Orientierung: Das Prinzip „Voice over Text“ – also bei Nachrichten, die länger als fünf Sätze brauchen, Interpretationsspielraum lassen oder Emotionen transportieren sollen, lieber kurz miteinander sprechen. Ob als Call, Walk-and-Talk oder Mini-Huddle: Präsenz, auch virtuell, macht oft den Unterschied.

Was sagt Ihre letzte E-Mail über Ihre Kultur?

Denken Sie an Ihre letzte E-Mail mit schwieriger Botschaft – war der digitale Kanal wirklich die beste Wahl? Haben Sie Feedback erhalten, das Sie überrascht hat? Oder vielleicht gar keine Reaktion?

Gute Kommunikation beginnt nicht beim Senden, sondern beim Verstehen. Und manchmal ist der beste Weg dorthin nicht die Tastatur, sondern die Stimme.

Wir unterstützen Unternehmen dabei, bewusste Kommunikationsroutinen zu etablieren – nicht mehr Meetings, sondern die richtigen Gespräche zur richtigen Zeit. Denn Nähe entsteht nicht durch Frequenz, sondern durch Präsenz.

Lassen Sie uns doch darüber sprechen. Nicht schreiben.

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